Aufmerksamkeit – das Erdöl des digitalen Zeitalters
Wie erreichen wir Kunden in Zeiten digitaler Reizüberflutung?
Was haben Sie gerade gemacht? Mit hoher Wahrscheinlichkeit lag Ihre Aufmerksamkeit eben bei Ihrem Smartphone, der Smartwatch oder einem anderen Bildschirm. Vielleicht haben Sie das Wetter gecheckt, im Chat geantwortet, Mails gelesen und einen Tweet abgesetzt. All dies läuft häufig parallel und in schnellem Takt. Aber nur das, worauf wir uns fokussieren, dringt ins Bewusstsein und bleibt in Erinnerung. Und genau darum geht es. Diesen Artikel zu lesen, kostet Sie 4 Minuten. In den nächsten 2-3 Sekunden entscheiden Sie, ob Sie ihn zu Ende lesen…
Wie viele Markenkontakte haben wir pro Tag? Wie häufig berühren wir das Smartphones?
(Merken Sie sich, was sie geschätzt haben. Die Antwort lesen Sie unten.)
Das Kommunikationstempo hat sich extrem beschleunigt. Aber die Frage, wie man sich konzentriert und mit Überstimulierung umgeht, ist nicht neu. Wenngleich sie sich mit dem Aufkommen des Smartphones und einer neuen Mediennutzung stark verändert hat.
Es wird zu einem immer wichtigeren Faktor für dem Geschäftserfolg, diesen stetigen Wandel des Kommunikationsverhalten zu begreifen, Aufmerksamkeit zu lenken und für sich zu nutzen. Aber was ist Aufmerksamkeit eigentlich und wie kann sie zum Problem werden?
Aufmerksamkeit quantifizieren – damals und heute
Wenn wir von Wahrnehmung sprechen, umfasst das ein sehr heterogenes Feld. Es gibt bewusste und unbewusste Wahrnehmung, periphäre Sinneseindrücke, gerichtete Aufmerksamkeit und schließlich mehr oder weniger komplexe kognitive Aufgaben. Schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert setzte man sich intensiv mit der Mess- und Berechenbarkeit auseinander. Wie hat man Aufmerksamkeit früher gemessen?
Historische Untersuchungen analysierten die „Lebhaftigkeit“ und „Klarheit“ sowie „Stärke“ und „Schärfe“ des Sinneseindrucks, um festzustellen, was Probanden wann wie intensiv wahrnahmen. Allerdings stellte die
Quantifizierung und die Vergleichbarkeit schon immer ein Problem dar.
Schließlich wurde der „Grad der Aufmerksamkeit“ eingeführt und diesem auch numerische Werte zugewiesen (>>wie etwa hier). Dennoch konnten objektivierte Vorgehensweisen den subjektiven Eindruck nicht 1:1 abbilden und ersetzen. Auch wenn man sich fortan in der Berechnung übte, das Thema „Aufmerksamkeit“ blieb komplex.
Wie lässt sich Aufmerksamkeit messen?
Nach wie vor steht die Wissenschaft vor der Herausforderung der eindeutigen Klassifizierung. Experimente und Versuchsaufbau bringen immer nur relative Ergebnisse, das heißt Vergleichswerte von mehreren verschiedenen Eindrücken zur selben Zeit. Auch heute noch sind >>parallel laufende Tasks der Weg um Wahrnehmung zu überprüfen und zu messen.
Bei aller Vielfalt und Fortschrittlichkeit der Messungstechnologie (Eye-tracking, fMRI, EEG) bleibt das Thema eben doch komplex. Es gibt nicht den einen absoluten Faktor zum Messen und Bewerten von Aufmerksamkeit.
Für den Geschäftsalltag müssen aber einfach zu handhabende Kennzahlen her um eine Steuerung überhaupt möglich zu machen. Diese verändern sich mit dem digitalen Wandel und angepassten Verhaltensweisen der User.
Im vergangenen Monat führte daher >>Burda ein neues Maß zur Marketingabrechung ein die „Engaged Views“. Nur für den aufmerksamen Kunden muss gezahlt werden. Die magische Zahl sind aktuell 7 Sekunden Verweildauer.
Vor zehn Jahren buchte man Werbung im Print und zum Teil auch digital nach Auflage und Umfang der Leserschaft. Mediadaten bieten diese Daten als historische Notiz noch immer an. In der Mediaplanung kommt Ihnen aber schon lange nicht mehr die Bedeutung zu, die sie früher einmal hatten. Für digitale Content Kreation und Optimierung sind Average time on page und Pages per Session schon lange zentrales KPIs. Eine gute Übersicht findet sich bei >>SEMRUSH („Measure your digital content performance“).
Grenzen der Aufmerksamkeit – wie viel ist ‚zu viel‘?
Mehr als 6.000 Markenkontakte erreichen uns alle im Schnitt jeden Tag. (Manche Schätzung liegen sogar deutlich darüber.) Bildschirme spielen dabei eine herausgehobene Rolle, insbesondere die von mobilen Endgeräten.
Jeden Tag berühren wir unser Smartphone im Schnitt 80 Mal und alle 12 Minuten. 4 Stunden ohne den Blick auf den kleinen Bildschirm kommen uns bereits extrem lang vor (>>Artikel zur 2071er Studie in der NY Times).
Nicht verwunderlich, also, dass man nach Wegen sucht, dem entgegen zu wirken um die Überstimulierung zu reduzieren. Fokus bewusst zu setzen und in der täglichen Reizflut wieder „Herr seiner Sinne“ zu werden, funktioniert nur durch Filtern. Will man nicht warten bis sich der ‚Overkill‘ einstellt, sondern ganz bewusst bestimmte Themen an sich heranlassen, muss man vor allem die Nutzung selektieren und Bildschirmzeit planvoll angehen.
Was früher in erster Linie elterliche Kontrollelement im Medienkonsum der Kinder am Smartphone war, ist inzwischen zum täglichen Instrument der persönlichen Medienhygiene geworden: Screen Time Management.
Aktives Filtern als Aufmerksamkeitsmanagement
Auf diesen Bedarf reagieren nicht nur App-Entwickler und Plattform-Anbieter wie youtube (>>Engadet: „Android and Youtube will help you manage Screen Time“). Auch Systemhersteller wie Apple haben „Screen Time Control“ mit iOS12 fest vorgesehen (>>The Verge: „How to use Apple’s new Screen Time and App Limits features in iOS 12“)
Mit diesem Schlüssel zur Reduktion der Kontakte steht aber zugleich auch schon die entgegensetzte Technologie in den Startlöchern. Wenn man nämlich die Aufmerksamkeit der Users hat, muss man sie auch maximal nutzen. Apples >>“Attention Aware Features“ dimmen oder aktivieren den Bildschirm über Gesichtserkennung und Blickverlauf.
Diese doppelte Vorgehensweise wohl ist jedem, der Kunden heute digital erreich möchte, zu empfehlen: nicht nur die Kommunikation sondern auch ganz bewusst die Nicht-Kommunikation zu nutzen.
Salopp gesagt: die Kunden auch mal in Ruhe zu lassen, ihre Aufmerksamkeit zu schonen. Also die Push-Nachricht auch mal ruhen zu lassen und nicht noch ein Mailing nachzusenden; oder sogar ihnen mittels zusätzlicher Services dabei zu helfen, sich zu strukturieren und eine bessere Balance zu finden.
Über die unerreichte Attraktivität von Amazon wurde schon viel diskutiert. Aus Sicht des Aufmerksamkeitsmanagement ist das Erfolgsfaktor eindeutig die Zentralisierung der Themen und Produkte als Generalist und eben nicht in der Nische. Interessanterweise gehören gerade Branchenkenner, die Amazons Monopolstellung im E-Commerce und Praktiken unglücklich und nicht fördernswert finden, oft zu den besten Kunden. Sie entscheiden sich für den Komfort und die Effizienz, obwohl sie sehr wohl um Alternativen wissen. Alles auf einer Plattform zu bündeln, macht die Beschäftigung schneller und effizienter. Die Bündelung schafft Raum und Zeit für anderes und macht damit das Leben viel einfacher.
Fazit
Den Kunden genau im richtigen Moment zu erwischen; das ist die große Kunst! Dazu muss man zunächst wissen, wie der Kunde tickt und sich „in der Situation“ verhält. Im nächsten Schritt aber auf dieser Informations- und Datenbasis sofort die Kommunikationsweisen und vor allem die Inhalte exakt auf den individuellen Leser anpassen. Das funktioniert am schnellsten und zielsichersten automatisiert.
Genau hier liegt daher das große Potential von KI und Personalisierung: die kostbare Aufmerksamkeit, die der Kunde Ihnen schenkt, sollten Sie für exakt auf ihn zugeschnittene Inhalte nutzen.
Aufmerksamkeit zu wecken ist heute schwerer denn je. Sie zu vergeuden unverzeihlich.